1. Definition
Das Harvard-Verhandlungskonzept ist Ergebnis langjähriger Forschung von Roger Fisher und William Ury von der Harvard Law School in den USA. Fisher und Ury fanden heraus, dass es immer dieselben Faktoren sind, welche Verhandlungen zum Erfolg oder Misserfolg führen, unabhängig von der Zeit, den Umständen oder den Verhandlungspartnern. Sie entwickelten eine Methodik, die bei jeder Art von Verhandlungen anwendbar ist.
Das "sachbezogene Verhandeln" (englisch: principled negotiating) nach dem sogenannten Harvard-Verhandlungskonzept ist die anerkannte Methode für erfolgreiches Verhandeln sowohl im Business- als auch im non-profit-Bereich und insbesondere auch im diplomatischen Dienst.
Die Methode wurde in den 70er-Jahren im Rahmen des "Harvard Negotiation Project" an der Harvard Law School entwickelt und hat seitdem weltweite Verbreitung gefunden. Im Rahmen dieses interdisziplinären Forschungsprojekts, das bis heute fortgesetzt wird, wurde untersucht, welche Faktoren in den verschiedenen Bereichen zum Gelingen und zum Scheitern von Verhandlungen führen können.
Das Harvard-Verhandlungskonzept löste den alten Streit, ob man "hart" oder "weich" verhandeln solle, mit einem eindeutigen so-wohl als auch:
Erfolgreich Verhandeln heißt, hart in der Sache und weich im Bereich der persönlichen Beziehung mit dem Verhandlungspartner zu verhandeln.
Dabei gilt es, vor allem 5 Grundsätze zu beachten:
1. Unterscheide zwischen dem Verhandlungsgegenstand einerseits und der Beziehung zwischen den Verhandlungspartnern andererseits!
2. Konzentriere Dich nicht auf Positionen, sondern auf die dahinter liegenden Interessen!
3. Entwickle zuerst möglichst viele Optionen, bewerte und entscheide später!
4. Ziehe allgemein gültige Normen oder Grundsätze als objektive Entscheidungskriterien heran!
5. Entscheide Dich für oder gegen eine Verhandlungsübereinkunft durch deren Vergleich mit Deiner besten Alternative dazu!
Der Ansatz des sachbezogenen Verhandelns basiert im Wesentlichen auf vier zentralen Verhandlungsmaximen. Diese Grundelemente, die in einer konkreten Verhandlungssituation von den Verhandlungsparteien beachtet werden sollten, lassen sich in einem ersten Schritt wie folgt formulieren.
2. Die vier Grundprinzipien des Harvard- Verhandlungskonzept
Die vier Säulen des Harvard-Konzeptes:
1. Unterscheiden sie zwischen dem Verhandlungsgegenstand einerseits und der
Beziehung zwischen den Verhandlungspartnern andererseits
2. Konzentrieren Sie sich nicht auf die Positionen, sondern auf die dahinter
liegenden Interessen
3. Entwickeln Sie zuerst möglichst viele Optionen, bewerten und entscheiden Sie
später
4. Lösen Sie Interessenkonflikte durch Hinzuziehen neutraler Beurteilungskriterien.
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2.1. Grundsatz: Sache und Personen trennen
Eine erfolgreiche Bearbeitung von Sachproblemen setzt eine störungsfreie Beziehung voraus. Idealerweise beruht diese auf gegenseitigem Vertrauen und Akzeptanz. Was tun, wenn einem die Verhandlungspartner unsympathisch sind? Machen Sie sich die eigene Antipathie bewusst, so können die eigenen Gefühle besser kontrolliert werden. Versuchen Sie positiv auf die Beziehungsebene einzuwirken. Hilfreich sind Begrüßungsrituale, Höflichkeitsformen im Gespräch und Verhalten (Blickkontakt, aussprechen lassen, zuhören und nachfragen).
Dieser erste Verhandlungsgrundsatz geht von der Annahme aus, dass bei jeder Verhandlung immer zwei verschiedene Ebenen zu berücksichtigen sind.
Dies ist einerseits eine sachliche Verhandlungsebene, die den konkreten Verhandlungsgegenstand betrifft, und andererseits eine persönliche Verhandlungsebene, die die persönlichen Beziehungen der Verhandlungsparteien zueinander betrifft. Den Autoren des Harvard-Konzeptes zufolge haben die Verhandlungspartner dabei zwei korrespondierende Bestrebungen. Sie versuchen durch die Verhandlungen einerseits eine ihren Interessen entsprechende Vereinbarung zu treffen und andererseits die Beziehung zu dem Verhandlungspartner nicht negativ zu beeinträchtigen
Ein grundlegendes Dilemma besteht dabei darin, dass die Verhandlungsparteien regelmäßig dazu neigen, die sachlich-inhaltlichen Aspekte mit den beziehungstechnisch-emotionalen Aspekten einerVerhandlung zu vermengen. Dies hat zur Konsequenz, dass eine belastete persönliche Beziehung zwischen den Verhandlungsparteien zu unbefriedigenden Lösungen oder gar zum Abbruch der Verhandlungen führen kann.
Da die Interaktionen der Verhandlungspartner regelmäßig durch kognitive, emotionale und/oder kommunikative Problemlagen belastet werden können, empfehlen die Autoren sich der Beziehungsebene in Verhandlungssituationen in bewusster Abgrenzung zur sachlichen Erörterung des Verhandlungsgegenstandes zuzuwenden.
2.2. Grundsatz: Konzentration auf die Interessen.
Position und Interesse unterscheiden sich. Eine Position ist die Erklärung einer Partei, wie diese unter bestimmten Bedingungen handeln wird. Sie drückt eine bereits getroffene Entscheidung aus. Ein Interesse ist der Beweggrund hinter der Position. Es ist das, was sich die Partei wünscht oder was sie unbedingt vermeiden will.
Beispiel: Partei A: "Für die freie Stelle kommt nur eine Mitarbeiterin mit langjähriger Berufserfahrung in Frage".
Partei B: "Die Stelle soll nur mit einer Hochschulabsolventin besetzt werden."
Auf der Ebene gegensätzlicher Positionen ist keine Lösung möglich. Hinter der Position von Partei B könnte folgendes Interesse stehen: "Wir brauchen Leute, die Potenzial haben und nicht zu teuer sind."
Auf der Ebene gegensätzlicher Positionen ist keine Lösung möglich. Hinter der Position von Partei B könnte folgendes Interesse stehen: "Wir brauchen Leute, die Potenzial haben und nicht zu teuer sind."
Partei A hingegen: "Die Einarbeitung in die Aufgabe erfordert zuviel Zeitaufwand. Eine erfahrene Mitarbeiterin tut sich leichter."
Interessen können vielfältig sein. Wichtig ist es, Gemeinsamkeiten herauszufiltern und eine für beide akzeptable Lösung zu erarbeiten. Im Beispiel könnte das gemeinsame Interesse darin bestehen, jemanden zu finden, die gut ausgebildet ist und etwas Berufserfahrung hat.
Die Offenlegung von Interessen ist nur in einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre möglich. Erleichtern Sie diesen Prozess durch offene Fragen: Warum? Wozu? ...
Mit diesem zweiten Verhandlungsprinzip lenken die Autoren des Harvard- Konzeptes die Aufmerksamkeit auf ein zentrales Problem von kompetitiv geführten Verhandlungen. Durch das – wie es die Autoren des Harvard- Konzeptes nennen – ´Feilschen um Positionen´ kommt es häufig zu suboptimalen Verhandlungsergebnissen oder gar Verhandlungsabbrüchen.
2.3. Grundsatz: Viele Optionen entwickeln, später bewerten.
Die Suche nach einer Lösung ist ein kreativer Suchprozess nach dem Motto: Vergrößern Sie den Kuchen bevor Sie ihn teilen. Die Kreativität wird behindert, wenn vorschnell beurteilt wird. Deshalb trennen Sie die Suche nach Optionen und deren Bewertung voneinander.
Suchen Sie nach möglichen Lösungsalternativen. Befassen Sie sich mit den Interessen der Gegenseite. Die Vorteile für die Gegenseite herauszustellen erleichtert die Zustimmung für die Lösung.
Suchen Sie nach möglichen Lösungsalternativen. Befassen Sie sich mit den Interessen der Gegenseite. Die Vorteile für die Gegenseite herauszustellen erleichtert die Zustimmung für die Lösung.
Mit einem Zitat der Autoren des Harvard-Konzeptes lassen sich die zentralen Thesen dieses Unterkapitels abschließend nochmals kurz zusammenfassen: „In einer komplexen Situation ist kreatives Erfinden eine absolute Notwendigkeit. Das öffnet Türen bei jeder Art von Verhandlung und schafft Übereinkünfte, die beide Seiten zufrieden stellen. Deshalb sollten Sie möglichst viele Optionen produzieren, ehe Sie unter diesen auswählen. Erst erfinden, dann entscheiden. Halten Sie Ausschau nach gemeinsamen Interessen ebenso wie nach unterschiedlichen, die man aber zu beiderseitigem Nutzen verwenden kann. Und trachten Sie danach, der Gegenseite die Entscheidung zu erleichtern.“
2.4. Grundsatz: Hinzuziehen neutraler Bewertungskriterien.
Objektive Kriterien, wie allgemeingültige Normen oder Werte sind eine solide Entscheidungsgrundlage, da sie unabhängig von den subjektiven Interessen der Konfliktparteien sind und den Weg für die Lösung anbahnen. Ein objektives Bewertungskriterium könnte in unserem Beispiel der Marktwert sein oder die Kosten, die entstehen. Hilfreich sind die Kriterien, die von beiden Seiten als fair empfunden werden. Faire Kriterien lassen sich sowohl inhaltlich anwenden, als auch auf die Wahl des Verfahrens (in diesem Beispiel das Einstellungsverfahren).
Wie kann ein schlechtes Verhandlungsergebnis verhindert werden?
Fisher und Ury zeigen 2 Möglichkeiten auf:
· Setzen eines Limits
· Suche nach einer "besten Alternative"
Die "beste Alternative" ist das Ergebnis einer qualitativen Auswahl von Optionen für den Fall der Nichteinigung. Mit der besten Alternative im Hinterkopf lässt sich das Verhandlungsergebnis objektiver bewerten. Ist es eine Lösung, von der beide profitieren oder nur ein fauler Kompromiss? Je konkreter sie formuliert ist, desto genauer können die Angebote der Gegenseite verglichen werden.
3. Kritische Würdigung des Harvard- Konzeptes
Im Anschluss an die Beschreibung der fundamentalen Grundprinzipien des Harvard-Konzeptes geht es in dem folgenden Unterkapitel um eine grobe kritische Würdigung dieser Methode des sachbezogenen Verhandelns. In diesem Rahmen soll es dabei genügen, die zentralen Leitlinien der in der einschlägigen Fachliteratur aufgeführten Vor- bzw. Nachteile des Harvard- Konzeptes nachzuzeichnen.
3.1. Vorteile des Harvard-Konzeptes
Die zentralen Vorteile des Harvard-Konzeptes werden insbesondere in Abgrenzung zu den Verhandlungsansätzen, die durch den Kampf um die Durchsetzung der individuellen Positionen geprägt sind, deutlich. So ist die Methode des sachgerechten Verhandelns geeigneter, die Vereinbarung allseits vorteilhafter und tragfähiger Verhandlungslösungen zu fördern, da bei diesem Modell der Verhandlungsführung nicht die häufig diametralen Positionen der Verhandlungsparteien, sondern die dahinter liegenden (gemeinsamen aber auch unterschiedlichen) Interessen fokussiert werden.
Die Einführung des Prinzips ´Konzentration auf Interessen und nicht auf Positionen kommt demnach einem Paradigmenwechsel der Verhandlungsführung gleich und ist eine der größten Errungenschaft der Autoren des Harvard-Konzeptes. Darüber hinaus begünstigt der Ansatz des sachgerechten Verhandelns durch den Einsatz von Kreativtechniken bei der Generierung von Lösungsalternativen, wie beispielsweise des Brainstormings, die Entwicklung einer möglichst großen Zahl an potenziellen Einigungsmöglichkeiten und trägt damit zur Überwindungder Betrachtung von Verhandlungssituationen als klassische Nullsummenspiele bei. Auch wird durch die Betonung der Notwendigkeit der strikten Trennung von Beziehungs- und Sachebene bei einer Verhandlung der Gefahr einer etwaigen Belastung oder gar Zerstörung der persönlichen Beziehung der Verhandelnden vorgebeugt.
Die konsequente Anwendung der Grundprinzipien des Harvard- Konzeptes samt den von Fisher, Ury und Patton daraus abgeleiteten pragmatischen Handlungsempfehlungen ist dagegen der Etablierung oder Aufrechterhaltung einer guten, vertrauensvollen und auf Dauer angelegten Beziehung zwischen den Verhandlungsparteien dienlich. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Methode des sachgerechten Verhandelns eine Vielzahl an praktischen Verhandlungstechniken anbietet, die dem konstruktiven Fortgang einer konkreten Verhandlung förderlich sein können. In diesem Sinne konstatiert auch WHITE in seinem
vielzitierten englischsprachigen Artikel über die Vor- und Nachteile des Harvard-
Konzeptes „it suggests a variety of negotiating techniques that are both clever
and likely to facilitate effective negotiation“
3.2. Nachteile des Harvard-Konzeptes
Der Generalvorwurf den die Kritiker gegen die Methode des Harvard-Konzeptes vorbringen ist, dass dieser Ansatz der Verhandlungsführung der Komplexität von Konflikten und Verhandlungen nicht gerecht wird und statt dessen zu einer naiv-simplifizierenden bzw. trivialisierenden Betrachtungsweise neigt. So lassen beispielsweise Fisher, Ury und Patton in ihrem Modell der sachbezogenen Verhandlung situative Aspekte samt deren Bedeutung auf den konkreten Verhandlungsverlauf weitestgehend unberücksichtigt und bieten lediglich ein starres Schemata von zur Anwendung zu bringender generalisierender Handlungsempfehlungen an.
Konkretisiert wird der vorgenannte Generalvorwurf an den vier fundamentalen Grundsätzen des Harvard-Konzeptes. Exemplarisch sei hierzu auf die Kritik an dem zweiten Verhandlungsprinzip verwiesen, welches einer eindimensionalen Fokussierung auf die Interessen der Verhandlungsparteien Vorschub leistet.
Aber auch gegen die Verhandlungsmaxime, wonach die Auswahl der Einigungsoption aus der Vielzahl an Lösungsalternativen anhand objektiver Bewertungskriterien zu erfolgen habe, werden Einwende vorgebracht. Demnach ist es nach Meinung der Kritiker nicht immer möglich solche vom subjektiven Willen der Verhandlungspartner unabhängigen Beurteilungsprinzipien zu finden. Zudem kann die Anwendung der von den jeweiligen Verhandlungsparteien präferierten Bewertungskriterien zu unterschiedlichen Verhandlungslösungen führen. Darüber hinaus wird dem Konzept des sachgerechten Verhandelns von den Kritikern entgegengehalten, dass es sich der Realität der Existenz von asymmetrischen Machtverhältnissen zwischen den Verhandlungsparteien verschließt und nur dann dessen Anwendung zu interessensgerechten Verhandlungslösungen zum beiderseitigen Vorteil führt, wenn die Verhandlungsmacht zwischen den beteiligten Akteuren weitestgehend egalitär ausgestaltet ist. In einer zusammenfassenden Gesamtschau der Vor- und Nachteile des Harvard-Konzeptes kann die Bedeutung der Methode des sachgerechten Verhandelns mit den Worten von FUNKEN wie folgt beschrieben werden:
„Getting to Yes should not be misinterpreted for more than it actually is. While its contribution to both the modern negotiation and mediation movement cannot be disputed, Getting to Yes was intended more as a handbook on how to improve ones skills to effectively negotiate. It should thus not be construed as a nostrum for all different aspects of negotiation. Both negotiators and mediators should consider the four principles of only as guidelines that they should not rely too heavily upon. Rather, they should expand their repertoire of strategies beyond those in the book to manage situations that do not fit in the Fisher, Ury and Patton model.“
4. Bibliographie
· Das Harvard Konzept. Klassiker der Verhandlungstechnik von Roger Fisher, William Ury and Bruce Patton, 2003
· Konferenz- und Verhandlungstechnicken von Franz Goossens, 1982
· Grunderzeiten”, Lockvenz Verlag
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